Recht auf Vergessenwerden und Medienkompetenz

Das Recht auf Vergessenwerden im digitalen Kontext ist ein fundamentales juristisches Konzept, das den Schutz personenbezogener Daten in der digitalen Ära gewährleistet. Diese rechtliche Maxime erlangte im europäischen Rechtsraum, insbesondere nach dem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall Google, eine signifikante Bedeutung.[1]

Es ist ein verbreiteter Irrtum, die Begriffe “Recht auf Vergessen” und “Recht auf Vergessenwerden” synonym zu verwenden. Das Recht auf Vergessen, im Englischen als “right to forget” bezeichnet, bezieht sich in der angloamerikanischen Rechtsdiskussion vorrangig auf die Historisierung bestimmter Ereignisse, wie etwa Rassendiskriminierung oder Verstösse gegen das Völkerrecht, welche nach einer gewissen Zeitdauer nicht mehr politisch sanktioniert werden sollen.[2]

Hingegen beinhaltet das Recht auf Vergessenwerden, auch als “right to be forgotten” bekannt, die Forderung nach Löschung persönlicher Datenspuren im Internet.[3] Es impliziert, dass bestimmte Daten nicht unbegrenzt zugänglich sein dürfen und verkörpert somit ein Selbstbestimmungsrecht im digitalen Raum.[4] Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) definiert dieses Recht als die Möglichkeit, über die eigenen digitalen Spuren und das eigene Online-Leben zu bestimmen, und bringt es somit in Verbindung mit dem Selbstbestimmungsrecht.[5]

Das Recht auf Vergessenwerden ist zudem klar vom Recht auf Berichtigung abzugrenzen. Während letzteres die Korrektur und Eliminierung fehlerhafter Behauptungen regelt, befasst sich das Recht auf Vergessenwerden mit der Handhabung wahrer Informationen, die im Internet publiziert wurden.[6] Diese Differenzierung ist insbesondere bei der Bewertung inhaltlicher Aspekte von Relevanz.

Einige Juristen argumentieren, dass der Terminus “Recht auf Vergessenwerden” irreführend sei und es sich eher um ein Recht auf Nicht-Weiterverbreitung handeln würde. Hierbei steht nicht das Vergessen, sondern die Verwertung im Vordergrund, da das absolute Vergessen im digitalen Zeitalter technisch kaum realisierbar ist.[7] Allerdings hat sich dieser Begriff in der Fachliteratur bisher nicht durchgesetzt.

Das Recht auf Vergessenwerden hat durch die Verbreitung von Social-Media-Kanälen erheblich an Bedeutung gewonnen. Trotz des bekannten Grundsatzes, dass das Internet nichts vergisst, werden private und sogar intime Daten unbedacht ins Netz gestellt. Die Erkenntnis über die Tragweite dieser Handlungen kommt oft erst bei der Jobsuche, wenn potenzielle Arbeitgeber Online-Recherchen anstellen. Die Anpassung der Privatsphäre-Einstellungen auf sozialen Netzwerken ist nicht immer unmittelbar intuitiv.

Die Herausforderung wird grösser, wenn es um Daten geht, die über Suchmaschinen wie Google auffindbar sind. Diese können von Drittanbieter-Websites stammen, die automatisch Inhalte von Social-Media-Plattformen extrahieren. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob man den Seitenbetreiber kontaktieren oder bei Google einen Löschungsantrag stellen sollte.

Staatliche Massnahmen allein reichen nicht aus, um das Recht auf Vergessenwerden im digitalen Zeitalter zu gewährleisten. Eine ergänzende Methode wäre die Sensibilisierung der Nutzer. Um das Recht auf Privatsphäre, eine fundamentale Errungenschaft der Menschheit, weiterhin zu schützen, müssen Medienkompetenzen bereits im Grundschulunterricht gestärkt werden. Der Lehrplan 21, der in verschiedenen Kantonen eingeführt wurde, zielt darauf ab, Schülerinnen und Schüler in der sicheren Navigation in physischen und virtuellen Räumen zu unterrichten, Medieninhalte kritisch zu reflektieren und zu nutzen sowie Gedanken und Meinungen unter Berücksichtigung rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen zu äussern.


[1] Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014.

[2] Heinrich/Weber, Braucht die Schweiz ein Recht auf Vergessen, Rn. 4f.

[3] Weber, The Right to Be Forgotten, Rn. 3.

[4] Weber, The Right to Be Forgotten, Rn. 3.

[5] EDÖB, Recht auf Vergessenwerden, Rn. 2.

[6] BGE 135 III 389 E. 3. und BGE 131 III 201 E. 1.1.

[7] Glaus/Glaus, Rn. 2.

[8]  Hagn, Rn. 1.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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